Fußball

Wie der deutsche Profi-Fußball zum Vorreiter für nachhaltige Entwicklung werden kann

Alexander LiebhartCenter for Sports and Management (CSM) der WHU – Otto Beisheim School of Management

Der deutsche Profi-Fußball steht an einem Wendepunkt. Einerseits boomt die Bundesliga mit ausverkauften Stadien und globaler Strahlkraft. Andererseits wächst der Druck, ökologisch, sozial und ökonomisch Verantwortung zu übernehmen.

Erste Ansätze finden sich zwar in nahezu jedem Stadion, doch um die dringend benötigte Transformation zu erreichen, reicht der aktuelle Kurs nicht aus. Unsere Zukunftsstudie, an der über 100 Expert:innen aus Vereinen, Verbänden, Medien, Politik und Zivilgesellschaft beteiligt waren, zeigt: Wer als professioneller Club langfristig wettbewerbsfähig bleiben will, sollte Nachhaltigkeit in sein Kerngeschäft integrieren.

Profi-Fußball als Hebel für nachhaltige Entwicklung

Mit seiner immensen medialen und gesellschaftlichen Reichweite kann der Profi-Fußball mehr bewegen als andere Branchen: Woche für Woche besuchen Millionen Fans die Spiele, diskutieren Ergebnisse und leben ihre Fankultur.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat Nachhaltigkeit bereits in ihr Lizenzierungsverfahren aufgenommen. Bundesligisten müssen ökologische, soziale und wirtschaftliche Standards erfüllen – von ressourcenschonenden Stadionkonzepten bis hin zu Maßnahmen gegen Diskriminierung. Doch nach Ansicht vieler Verantwortlicher bleiben diese Anforderungen derzeit überwiegend Pflichtprogramm – ein echter Wettbewerbsvorteil ergibt sich daraus noch nicht.

Um das Potenzial von Nachhaltigkeit zu erschließen, haben wir am CSM der WHU in Kooperation mit Bayer 04 Leverkusen, Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt, Fortuna Düsseldorf, Sky Deutschland und dem VfB Stuttgart eine Delphi-Studie durchgeführt.

Dabei wurden in mehreren anonymen Befragungsrunden unter anderem Eintrittswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen verschiedener Entwicklungen, sogenannter Projektionen, bis 2030 systematisch abgeschätzt. Eingebunden waren neben Clubvertreter:innen auch Stakeholder aus gemeinnützigen Organisationen, öffentlichen Institutionen, Sponsoren und Wissenschaft, um eine breite Perspektive sicherzustellen.

Zentrale Erkenntnis: Tiefe Transformation statt Einzelmaßnahmen notwendig

Die Studie ergab, dass punktuelle Maßnahmen allein nicht genügen. Zwar erzeugt das Solardach in Dortmund mit 9.500 Modulen eine Spitzenleistung von etwa 4,2 Megawatt und viele Clubs investieren in LED-Beleuchtung, Abfalltrennung oder barrierefreie Zugänge. Erste Initiativen wie diese reichen aber bei Weitem nicht aus. Nachhaltigkeit sollte Teil des Geschäftsmodells werden. Geht es nach den von uns befragten Expert:innen, sind drei Hebel elementar, um neue Einnahmequellen zu schaffen und eine nachhaltige Wertschöpfung zu erzielen:

Verteilungsschlüssel für Medieneinnahmen anpassen: Bisher basiert der DFL-Verteilungsschlüssel auf den vier Säulen Gleichverteilung, Leistung, Nachwuchs und Interesse. Eine fünfte Säule auf Basis messbarer Nachhaltigkeitskriterien könnte nachhaltigere Clubs zusätzlich fördern.

ESG-Initiativen strategisch verankern: Nachhaltigkeit sollte nicht als Add-on verstanden werden. Idealerweise sind ESG-Initiativen stattdessen direkt in der Geschäftsführung verankert. Die Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen sollte demnach in den Vergütungs­vereinbarungen des Vorstands und in Geschäftsberichten ebenso berücksichtigt werden wie sportliche Kennzahlen.

Nachhaltiges Sponsoring als Wettbewerbsvorteil begreifen: Immer mehr Partner knüpfen ihre Unterstützung an eigene Nachhaltigkeitsstandards. Vereine, die hier vorangehen, können sich positiv abheben und sichern sich dadurch häufig langfristige Partnerschaften.

Vielzahl an Handlungsfeldern im Stadion und darüber hinaus

Anreise der Fans: Der CO₂-Ausstoß durch Fanreisen ist nach wie vor die größte emissionsrelevante Stellschraube. Bis 2030 erwarten die Expert:innen, dass Clubs verstärkt mit Verkehrsverbünden kooperieren, vergünstigte ÖPNV-Tickets anbieten und Ladesäulen für E-Fahrzeuge bereitstellen. Erste Pilotprojekte wie ein DFL-Mitfahrportal zur Bildung von Fahrgemeinschaften lassen bereits heute positive Effekte erwarten.

Kreislaufwirtschaft und Lieferketten: Die Arena selbst – von Baustoffen über Catering bis hin zum Merchandising – sollte in eine geschlossene Kreislaufwirtschaft überführt werden. Kooperationen mit lokalen, nachhaltigen Zulieferern sind dabei ebenso wichtig wie transparente Reporting-Standards entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Soziale Verantwortung vor Ort: Stadien sind vor allem Orte der Begegnung. Projekte zur Integration von benachteiligten Gruppen, Bildungsprogramme und Fan-Initiativen, beispielsweise gegen Rassismus, stärken den sozialen Zusammenhalt und machen Nachhaltigkeit erlebbar.

Die Rolle von Verband, Politik und Zivilgesellschaft

Eine nachhaltige Entwicklung des Profi-Fußballs gelingt nicht im Alleingang. Verbände sollten verbindliche Rahmenbedingungen setzen, Kommunen ihre Verkehrsinfrastruktur anpassen und Fans sowie lokale Partner zum aktiven Dialog eingeladen werden.

Darüber hinaus könnte die DFL verbindliche Nachhaltigkeitsreports einführen und Mindeststandards für Stadion-Neubauten festlegen. Politik und öffentliche Hand sind zudem gefragt, Förderprogramme und rechtliche Anreize für nachhaltige Investitionen zu schaffen.

Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse unserer Delphi-Studie zeigen: Nachhaltigkeit im Profi-Fußball ist weniger eine Hürde als eine große Chance – sie kann die Grundlage für neue Geschäftsmodelle bilden, die Marke stärken und langfristig sowohl sportlichen als auch wirtschaftlichen Erfolg sichern.

Entscheidend ist, und darauf verweisen unsere Expert:innen immer wieder, dass Clubs, Liga und Partner jetzt handeln und Nachhaltigkeit nicht als einen bloßen Zusatz, sondern als eine ihrer strategischen Prioritäten begreifen. Nur so kann der deutsche Profi-Fußball bis 2030 zu einem echten Vorbild für eine faire, resiliente und klimafreundliche Zukunft werden.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

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